Porzellan - Feingefühl - Wiener Zeitung Online

2022-10-22 20:26:33 By : Ms. Alina Yang

Sandra Haischberger in ihrem Reich: In ihrem Geschäft "feine dinge" gibt es feinstes Porzellan.

Es war so fad auf der PädAk, wo Sandra Haischberger Englisch und Turnen studiert hat. Deswegen hat sie umgesattelt auf Produktgestaltung an der Angewandten. "Porzellan war für mich bis dahin ein industrielles Material. Dass man das auch mit kleiner Infrastruktur herstellen kann, war mir nicht bewusst." Die ersten Verkaufserfahrungen vor 17 Jahren frustrierten: "Nach jedem Weihnachtsmarkt hab ich geheult, weil ich wieder nichts verkauft habe."

Es irritierte die Menschen, dass man mit der Technik, die man etwa von Augarten kannte, auch anderes machen konnte. Mittlerweile ist die 52-Jährige sozusagen die Galionsfigur des modernen Wiener Porzellans. Ihre Stücke verkaufen sich über Händler auch im Ausland, aber am schönsten shoppt es sich in ihrem Geschäft in der Margaretenstraße mit angeschlossener Werkstatt. Bestseller ist ihr Geschirrservice "Alice" in gedeckt bunten Farben. Im Studium wurde von so etwas abgeraten: "Das kauft keiner." Das hat sich geändert, nicht erst seit dem pandemischen Fokus auf die eigenen vier Wände.

Ein 12-teiliges Service in reiner Handarbeit braucht übrigens vier bis acht Wochen, bis es fertig wird. Man kann zum Beispiel nur einen Teller am Tag pro Gussform gießen. Das gibt dem Geschirr einen eigenen Wert, meint sie: "Heute gibt es ja kaum mehr etwas, auf das man warten muss." Wie bei jeder Handarbeit, noch dazu so filigraner, sind die Stücke nie perfekt. Es reicht schon ein Luftzug, dass ein Häferl einen kleinen "Depscher" hat. Da braucht es immer wieder Überzeugungsarbeit bei Kunden: "Ich frage dann, soll ich das jedesmal in den Müll schmeißen? Nachhaltig will zwar jeder sein, aber bitte mit perfektem Häferl."

Nachhaltigkeit war Haischberger von Beginn an wichtig, so verzichtet sie auf Brennhilfen, die nach Gebrauch in der Tonne landen. Bei ihrer anderen Serie "Raw" geht sie den Weg noch konsequenter: Nach einiger Tüftelei ist ihr gelungen, aus Abschnitten von "Alice", die früher weggeworfen wurden, neue Porzellanmasse herzustellen. Weil verschiedene Farben zusammengemischt werden, ist jedes Ergebnis eine Überraschung.

Obwohl sie immer wieder Objekte aus dem Sortiment aussortiert, hat sie einen All-Time-Favoriten, der schon über zehn Jahre am Buckel hat: die "Moonstruck"-Leuchte. Eine Porzellankugel mit frei gezeichnetem Blumenmuster aus Löchern, die dann einen dekorativen Schatten werfen. Inspiriert von einer renommierten Porzellanfirma, der sie mittlerweile Konkurrenz macht: Herend.

Birgit Weinstabl in ihrem kleinen Porzellanreich.

Als Birgit Weinstabl in der Werkstatt von Hermann Seiser das erste Mal mit Porzellan in Kontakt kam, war es Liebe auf den ersten Blick. Sie mag bei der Arbeit auch das Meditative: Für jedes Stück braucht sie eine Gipsform, dann muss das Porzellanobjekt gebrannt werden, erst bei 900, dann bei 1.200 Grad. "Erst nach drei Tagen sehe ich, was ich überhaupt habe. Und ich bin eigentlich jemand, der Dinge schnell fertig macht", sagt die 38-Jährige lachend.

Weinstabls Signature-Produkt sind Porzellanringe, und allein diese vergleichsweise kleinen Objekte brauchen eine Woche, bis sie fertig sind. Aber wie kommt man darauf, einen Ring ausgerechnet aus zerbrechlichem Porzellan zu gestalten? "Mir gefällt das, dass dieser Ring etwas ist, auf das man achten muss, das Feingefühl braucht. Das kann man dann auch umlegen darauf, dass man sich selbst wertschätzt."

Diese Ringe wollen mit Achtung und Sorgfalt getragen werden.

Auch andere Objekte stellt Weinstabl in ihrem Atelier im dritten Wiener Gemeindebezirk her, zum Beispiel Wandvasen in Form von Ästen. Die Inspiration dazu hatte sie in Berlin: "Ich habe eine Zeitlang in Pankow gelebt und da ragt überall auf den Straßen die Natur raus." Eine andere Inspiration, weniger willkommen, kam im Frühling 2020. Als Reaktion auf die Pandemie hat sie Wandteller mit dem tief empfundenen Aufdruck "Fuck" "spontan gegossen. Die habe ich dann auf Instagram gestellt und in Kürze waren alle weg." Das Interesse an den Flüchen ist nun wieder abgeflaut, sagt sie: "Jetzt sind wieder mehr Ringschalen für Hochzeiten gefragt."

Weinstabl ist im Waldviertel geboren und verwirklicht einmal im Jahr Kunstprojekte im öffentlichen Raum in Niederösterreich – immer mit weißem Porzellan, weil es "mit der Natur bricht". So brachte sie entlang der österreichisch-tschechischen Grenze 100 Schwalben an ehemaligen Höfen an, in Orten, die nach der Flucht von Sudetendeutschen nicht resozialisiert wurden und sie recherchierte, wer da früher gelebt hat. Und im Rahmen des Viertelfestivals ließ sie Porzellanfische über die Thaya fliegen.

Anna Holly und ihre Porzellanwerkstatt.

Grün-schwarz lasiert war das Milchkännchen, das bei Anna Holly schon in Kindheitstagen ein Faible für handgemachte Keramik geweckt hat. An der Universität für Angewandte Kunst wendete sie sich dem Material ernsthaft zu, entdeckte aber bald, dass Porzellan ihr noch mehr zusagte: Dass etwas gleichzeitig hart und zerbrechlich sei, fasziniere sie schon bei der Entstehung, der Prozess vom flüssigen Grundstoff über die sehr fragile Zwischenstufe beim Formen bis zum Brennen, das das Porzellan dann erstaunlich massiv macht.

Freilich hat die 41-jährige Wienerin auch einen entspannten Zugang zu Scherben: "Es gehört zum Leben dazu, wenn etwas kaputtgeht. Ich finde ohnehin, das schönste Service ist eines, in dem man verschiedene Stücke mischt. Ich breche gern mit der Tradition, dass ein Service nichts mehr wert ist, wenn ein Stück fehlt. Heute kann man lockerer mit heiklem Porzellan umgehen." Nachsatz: "Mir fällt erstaunlich wenig runter."

Das erste Stück, das Anna Holly schon in der Uni gemacht hat, waren Mokkatassen. Bei den kleinen bunten Bechern gelang ihr auch die für einen Verkauf nötige Vervielfältigung. Sie startete mit einer Auswahl von fünf Tieren als Verzierung. Heute sind die pastellfarbenen Tassen die beliebtesten Stücke aus ihrer Werkstatt, und es gibt jetzt 30 Tiermotive, die sich in 250 Varianten umsetzen lassen. Nicht nur Tiere, auch Fahrräder oder sogar eine Kaiserin bevölkern die Tassen und spiegeln den Humor ihrer Schöpferin wider. Alle sind natürlich handgemacht in ihrer Werkstatt in Wien Josefstadt. "Man merkt schon, dass Leute Handwerk wieder mehr schätzen, dass sie gern regional kaufen."

Fröhliche Tiermotive auf Mokkabechern sind Anna Hollys Markenzeichen.

Und auch andere Trends lassen sich in Hollys Sortiment wiederfinden: Die neue Seifenschale "Aphrodite" ist zum Beispiel im ersten Corona-Lockdown entstanden – als plötzlich Seifen wieder eine besonders prominente Bedeutung bekamen. Als Porzellandesignerin ist sie immer am Tüfteln, derzeit arbeitet sie daran, wie man Porzellanmasse in Form spritzen könnte "wie ein Brandteigkrapferl". Was übrigens auch sehr schwer zu machen ist, sind Ausgießer. Was wiederum dem Milchkännchen der Kindheit einen ganz neuen Wert gibt. Hilft nichts, es gibt es trotzdem nicht mehr.

Andrea Kollar in ihrem Atelier - nicht ohne einer ihrer bekannten Körpervasen.

Mathilde war die erste. Und die war gleich ein Riesenerfolg. Andrea Kollars Vasen in Frauenkörperform stehen sogar in den Wohnzimmern der Stars von Hollywood. Begonnen hat alles mit einem Textilprint, für den Kollar eine Frau zeichnen musste. Da ist bei ihr ein Knopf aufgegangen: "Oh mein Gott, das ist genau mein Thema!", war ihr Gedanke. Sie stellte ihre Zeichnungen auf Instagram, wo sie sich gleich einmal in die USA verkauften.

Nun wollte sie ihre "Damen" auch dreidimensional gestalten. "Ich hatte null Ahnung von Ton und Keramik", erzählt sie. Einige Keramiker winkten ab und meinten, um so etwas zuwege zu bringen, brauche es Jahre. Dann ist sie auf Hermann Seiser gestoßen, in dessen Atelier gibt es kein voreiliges "Gibt’s nicht". Ein Jahr lang lernte Kollar dort Schritt für Schritt Modellieren, Formenbau, Porzellanguss. Und dann war Mathilde fertig. Innerhalb weniger Tage fanden die Körpervasen ein Zuhause in Paris, Los Angeles und Japan.

Schließlich fielen die Porzellan-Akte der US-Influencerin Aimee Song auf und so fanden sie den Weg in die Wohnzimmer von Kylie Jenner, Jessica Alba und auch in ein Musikvideo von Lizzo. Das passt wiederum wunderbar, ist die Sängerin doch eine Vertreterin der Body-Positivity-Bewegung. "Kein Körper ist perfekt", das spiegeln auch Kollars Vasen wider, denn auch sie zeigen: Gerade die kleinen Fehler und Unebenheiten, die Handarbeit mit sich bringt, machen sie besonders.

Liebevolle Handarbeit vom ersten bis zum letzten Schritt.

Die 42-Jährige merkt, dass Keramik gerade einen Riesenboom erlebt. "Wenn ich vor zehn Jahren meinen Freunden erzählt hätte, ich mache einen Keramikkurs, hätten sie mich komisch angeschaut. Das war etwas, was alleinstehende Damen um die 60 gemacht haben. Der Wandel kam aber superschnell. Die Arbeit hat etwas Heilendes und die Wertschätzung ist groß, es geht der Trend weg von Ikea hin zu Einzelstücken."

Apropos Ikea und Co: Dass es mittlerweile fast überall maschinell gefertigte Frauenkörpervasen zu kaufen gibt, nimmt Kollar entspannt – und sozial: "Ich war zehn Jahre in der Modebranche. Da ist man sowas gewöhnt. Mir schreiben oft junge Frauen, dass sie die Vasen so toll finden, aber sich nicht leisten können. So sind sie auch für sie zugänglich. Und für mich ist es ein Ansporn, die Arbeit weiterzuentwickeln."